Nicht nur Antibiotika fügen dem Darm Schaden zu.
Offenbar können auch bestimmte „Nicht-Antibiotika“ einen antibiotischen Effekt besitzen und das Mikrobiom des Darms nachhaltig negativ beeinflussen. Laut einer Studie betrifft das 25% der Medikamente.
Durchgeführt wurde diese Studie im European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg, im März 2018 wurde sie in der Fachzeitschrift NATURE publiziert.
Hier der Link zu diesem Artikel:
https://www.nature.com/articles/nature25979#article-comments
Es wurde die Wirkung von 1000 verschiedenen Arzneistoffen auf 38 Darmbakterien untersucht. Dabei kam zutage, dass von 923 Nicht-Antibiotika 250 auf das Darmmikrobiom einwirkten, und zwar dergestalt, dass sie das Wachstum bestimmter Darmbakterien hemmten. Das sind fast 25 Prozent der Arzneimittel, Vertreter aus allen Klassen. Es waren häufig angewendete Medikamte wie z.B.:
- Doxorubicin (Chemotherapeutikum)
- Tamoxifen (Brustkrebsmedikament)
- Benzobromaron (Gichtmedikament)
- Felodipin sowie Telmisartan (Bluthochdruck)
- Simvastatin (Cholesterinsenker)
- Omeprazol (PPI)
- Amiodaron (Antiarrhythmikum)
- Estradiol (Antibabypille)
- Loratadin (Antiallergikum) – (Achtung: betrifft nicht Cetirizin als Antihistaminikum)
Nicht verwunderlich:
Die Magensäureblocker wie Omeprazol, Pantoprazol etc. spielen eine besondere Rolle: Sie erhöhen den Ph-Wert im Magen und damit auch das Milieu im Dünndarm. Bakterien, die normalerweise dort nicht hingehören, könnten sich jetzt hier ansiedeln und Beschwerden verursachen. Die Dünndarmfehlbesiedelung hat damit einen zusätzlichen Entstehungsfaktor. Von daher besteht das Problem bei den PPI’s nicht in der Antibiotischen Nebenwirkung direkt.
Folgende Studie beschreibt ebenso das erhöhte Risiko für die Erkrankung an C. difficile von Personen, die PPI’s nehmen: https://gut.bmj.com/content/65/5/740
Nicht-Antibiotika:
Aber die Heidelberger Studie zeigt, dass viele Medikamente, die wegen ganz anderer Erkrankungen Patient*innen an die Hand gegeben werden, eine antibiotische Neben-Wirkung haben. Dabei wirkten 40 Arzneistoffe sogar antibiotisch auf mehr als 10 Bakterienarten der Darmflora gleichzeitig. Die antibiotische Wirkung der Medikamente war bislang nicht bekannt.
Fragen:
- Sind nun die Mikrobiomveränderungen bei Menschen mit MS, Depressionen, Parkinson und Allergien mit Ursache der Erkrankung oder eine Folge der medikamentösen Behandlung? Und könnte es umgekehrt sogar in einigen Fällen von Nutzen für den Krankheitsverlauf sein, wenn bestimmte Bakterien in ihrem Wachstum gehemmt werden? Besonders bei Psychopharmaka zieht das Studienteam diese Überlegung in Betracht. Wenn mehr geforscht sein wird im Themenbereich Psyche und Darm, könnte somit dieser Wirkmechanismus gezielt in die Entwicklung von Medikamenten einbezogen werden. Studienleiter Prof. Dr. Peer Bork sagt dazu: „Diese Veränderung in der Zusammensetzung unserer Darmbakterien trägt zu Nebenwirkungen von Medikamenten bei, könnte aber Teil der positiven Wirkung der Medikamente sein.“
- Könnte es sein, dass die Mikrobiomveränderung z.B. bei der multiplen Sklerose weder Ursache noch Folge der Krankheit sind, sondern das Ergebnis der Therapie?
- Könnte es sein, dass Symptome wie „Reizdarm“ sozusagen auch als Nebenwirkung medikamentöser Behandlung mit Nicht-Antibiotika einzuschätzen wäre?
- Könnten Nicht-Antibiotika zur gefürchteten Resistenzenbildung beitragen? Besonders auch deshalb, weil viele der untersuchten Medikamente dauerhaft, also über viele Jahre hinweg von den Betroffenen eingenommen werden. Prof. Dr. Peer Bork fand diese Erkenntnis durchaus „erschreckend“.
Der Fingerabdruck des Mikrobioms
Jeder Mensch besitzt ein individuelles Mikrobiom. Gewiss, die meisten Stämme kommen bei allen Menschen vor. Doch es gibt auch individuelle Untergruppen und ebenso ist die Verteilung der Stämme von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Man spricht nicht umsonst vom Mikrobiom-Fingerabdruck. Das könnte auch bedeuten, dass Menschen in Ihrer Reaktion auf Medikamente eben sehr verschieden sind. Vielleicht ist dies der Grund, warum Person A gut auf ein Medikament anspricht und Person B nicht.
Dazu verändern ja auch Lebensgewohnheiten das Mikrobiom: es macht einen Unterschied in der Stammvielfalt, ob jemand vegan lebt, Frutarier ist oder Rohköstler oder eine konventionelle Ernährung pflegt. Ebenso spielt das Alter eine Rolle. Jede*r dieser Menschen könnte unterschiedlich auf ein Medikament reagieren.
Die Verträglichkeit eines Medikaments hängt von der individuellen Darmflora eines Menschen ab und gleichzeitig beeinflusst das Medikament die Darmflora.
Ein erstes Fazit:
Professor John Cryan, Mikrobiom-Experte der Universität Cork und Co-Autor der Studie, fasste dazu zusammen: „Wir können das Mikrobiom nicht ignorieren, wenn wir über Arzneimittelwirkungen im menschlichen Körper sprechen.“
Ebenfalls Co-Autor der Studie, Kiran Patil: „Wir wissen noch nicht, wie die Medikamente auf die Mikroben abzielen und wie sich diese Effekte im menschlichen Organsimus manifestieren. Wir müssen diese Beziehungen noch eingehender untersuchen, da dieses Wissen unser Verständnis für die Wirksamkeit bestehender Medikamente dramatisch verbessern könnte.“
Hier gibt es noch ein Video, in dem die Studie von den Mitarbeitern beschrieben wird: